Anwälte verstärkt als Lotsen gefragt: Unternehmen benötigen mehr Beratung

Auch im Jahr 2023 blieb die Frequenz in der Rechtsberatung und Prozessvertretung hoch. Im betrieblichen Alltag waren Abmahnungen, Fragen zur Eingruppierung und Kündigung die Top-Themen in den Unternehmen. Zudem gibt es vermehrte Fälle von Leistungsminderung wie Nachtschichtuntauglichkeit oder andere Einschränkungen im beruflichen Einsatz. Und auch die Fehlzeiten in den Unternehmen nehmen weiterhin zu. Der Krankenstand in Deutschland lag 2023 im zweiten Jahr in Folge auf Rekordniveau. Auch bei den Azubis fallen die Krankenstände sehr hoch aus.

Wenig hilfreich ist dabei die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbeschreibung (eAU) für die Betriebe, da sie mehr Bürokratie aber wenig Entlastung bringt. Die Informationen an die Arbeitgeber sind nicht transparent genug und kommen verspätet. Besonders im Zusammenhang mit der Telekrankschreibung bleibt oftmals unklar, ob es sich um Folgekrankschreibungen oder Erstkrankschreibungen handelt.

Aufgrund der geringen Auslastung in den Unternehmen fällt der Personalüberhang durch den hohen Krankenstand nicht so stark auf. Auffällig sind aber die steigenden Kosten durch Entgeltfortzahlungen. Dies zeigt auch eine Statistik des Instituts der deutschen Wirtschaft auf Basis der Zahlen der Gesetzlichen Krankenversicherungen. Laut IWD und GKV haben bereits 2022 die Unternehmen so viel Entgelt für krankgeschriebene Angestellte gezahlt, wie nie zu vor. Seit 2010 haben sich die Kosten für die Betriebe fast verdoppelt und stiegen 2022 auf rund 70 Milliarden Euro. Für 2023 liegen die Daten zur Entgeltfortzahlung noch nicht vor. Jedoch wurde damals bereits von einer weiteren Steigerung ausgegangen.

Durch den Gesetzgeber in Berlin und Brüssel wurden zudem weitere Regelungen geschaffen, die Klärungsbedarf nach sich ziehen werden. Dazu zählen unter anderem das Bürokratie-Entlastungsgesetz, die EU-Richtlinie für mehr Entgelttransparenz sowie die Vergütung der Betriebsräte.

Nicht zu Ende gedacht: Bürokratie-Entlastungsgesetz

War es bislang so, dass die Arbeitgeber verpflichtet waren, die wesentlichen Bedingungen eines Arbeitsverhältnisses schriftlich festzuhalten, so müssen diese nun nicht mehr in Papierform ausgehändigt werden. Mit dem neuen Bürokratie-Entlastungsgesetz soll dies nun auch per E-Mail möglich sein. Dieser Schritt ist für Arbeitgeber eine Entlastung mit Blick auf die zunehmenden Arbeitsverhältnisse mit Remote Work. Allerdings gibt es Ausnahmen: Arbeitgeber sind auch weiterhin zu einem schriftlichen Nachweis verpflichtet, wenn der Mitarbeitende dies konkret verlangt.

Bislang gibt es einen Regierungsentwurf, der noch das Parlament passieren muss. Sollte er so gebilligt werden, ist Vorsicht angebracht. Denn aus Sicht des Arbeitgeberverbandes greift die damit geltende Erleichterung zu kurz, da sie sich nur auf eine Anpassung der Vorschriften des Nachweisgesetzes bezieht. Bei Arbeitsverträgen bestehen zum Teil weiterhin strengere Vorgaben, zum Beispiel wenn eine Befristung vereinbart werden soll. Hier sieht § 14 Abs. 4 TzBfG vor, dass die Schriftform – inklusive der handschriftlichen Unterschrift – weiter einzuhalten ist. Geschieht dies nicht, ist die Vereinbarung der Befristung unwirksam und es besteht ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Auch ein in Arbeitsverträgen notwendiger Hinweis, dass mit dem Eintritt des Arbeitnehmers in die Altersrente das Beschäftigungsverhältnis endet, bedarf nach jetziger Rechtslage weiterhin der Vereinbarung in Schriftform. Von diesen strengen Vorgaben will die Ampel nicht abweichen. Hinzu kommen ungeklärte Fragen, wie die elektronische Signatur sowie die rechtskonforme Übermittelung und Archivierung.

Fazit: Die Formerleichterungen durch das beschlossene Bürokratieentlastungsgesetz IV ist ein längst fälliger Schritt in Richtung Digitalisierung. Allerdings muss der Gesetzgeber nochmals nachjustieren, um die Unternehmen tatsächlich zu entlasten und insbesondere für Arbeitgeber nicht zusätzliche Stolpersteine oder weitere Belastungen an anderer Stelle zu schaffen. In Zweifelsfälle empfehlen wir rechtlichen Rat bei den Juristen des Arbeitgeberverbandes einzuholen.

Infokasten: Laut Nachweisgesetz müssen Arbeitgeber bestimmte Vertragsbedingungen schriftlich festhalten, um sie für die Arbeitnehmer klar und nachvollziehbar zu machen. Dies hat jedoch keine Auswirkungen auf die grundsätzliche Wirksamkeit des Arbeitsvertrages.

In der Pipeline: Mehr Bürokratie durch die Entgelttransparenz-Richtlinie

Die EU-Richtlinie für mehr Entgelttransparenz soll sicherstellen, dass alle Beschäftigten bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit auch den gleichen Lohn erhalten. Ende 2023 wurde sie verabschiedet und muss nun binnen drei Jahren in Deutschland umgesetzt werden. Das wird zu Änderungen am deutschen Entgelttransparenzgesetz führen, welches seit 2017 besteht und wird die Rahmenbedingungen für alle Akteure neu definieren. So sollen Arbeitgeber bereits bei der Ausschreibung von Stellen dazu verpflichtet werden, das Einstiegseinkommen zu nennen oder aber den Bewerbern vor Beginn des Vorstellungsgespräches anderweitig zur Verfügung zu stellen. Nach der EU-Richtlinie muss zudem ein Entgeltvergleich zwischen allen Personen ermöglicht werden, deren Entgelt von dem gleichen Tarif geregelt wird. Möglich ist auch ein Vergleich mit einer hypothetischen Person. Die betrieblichen Prüfverfahren über geschlechterbezogene Entgeltdifferenzen sind bereits für Unternehmen ab 100 Beschäftigten verpflichtend. Wenn dann eine Lücke von 5 Prozent oder mehr festgestellt wird, muss Abhilfe geschaffen werden – wenn keine objektiven oder geschlechtsneutralen Gründe dafür genannt werden können. Zudem werden durch die Richtlinie die Auskunftsansprüche der Beschäftigten umfassender ausgestaltet.

Durch die umfassenden Berichts- und Auskunftspflichten sowie möglicher Bewertungen der Entgelte durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer entsteht nicht nur für die Arbeitgeber ein neues Bürokratie-Monster, sondern es entstehen auch neue Rechtsunsicherheiten in den Betrieben. Unverständlich ist auch der weite Geltungsbereich der Richtlinie, da es keine Ausnahmen für den Mittelstand und tarifgebundene Betriebe gibt. Besonders letzteres ist schwierig, da die Richtlinie einen ungerechtfertigten Eingriff in die Tarifautonomie darstellt.

Welches Gehalt ist fair bei freigestellten Betriebsräten?

Drei Betriebsräte beim Unternehmen Volkswagen haben sich erfolgreich vor Gericht gegen Gehaltskürzungen gewehrt. Vorangegangen war ein Urteil des BGH, wonach Betriebsräte zu viel Entgelt erhalten hatten. Daraus ergeben hat sich eine Rechtsunsicherheit in den Betrieben zu den Vergütungen der freigestellten Betriebsräte. Denn der BGH hatte aufgeführt, wie die Höhe der Vergütung bei den Betriebsräten zu ermitteln sei. Doch diese waren nicht deckungsgleich mit bestehenden Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts. Was also tun?

Die Normen zur Tätigkeit des Betriebsrates ergeben sich aus dem Betriebsverfassungsgesetz. Doch wie werden diese bezahlt, wenn die Menschen teilweise über Jahre aus dem klassischen Berufsweg ausgestiegen sind, um sich für die Belegschaft zu engagieren? Einerseits dürfen den Betriebsräten gegenüber Vergleichspersonen keine Nachteile entstehen. Andererseits darf das Gehalt nicht zu üppig ausfallen. In den Betrieben besteht Klärungsbedarf. Allein, um nicht wegen Untreue angeklagt zu werden.

Aus Berlin soll nun eine gesetzliche Klarstellung kommen. Eine erste Lesung dazu hat bereits im Bundestag stattgefunden. Grundsätzlich empfehlen die Juristen des Arbeitgeberverbandes den Unternehmen, eine betriebliche Regelung zum Entgelt des freigestellten Betriebsrates zu schließen.

Tutorial - Neues Format der Juristen gestartet

Die Unterstützung durch die Syndikus-Anwälte des Arbeitgeberverbandes hat ein weiteres Format bekommen: Video-Tutorials bieten eine zeitgemäße Wissensvermittlung und können jederzeit genutzt werden. Das Portfolio ist derzeit im Aufbau und wird fortlaufend ergänzt. Die Themen ergeben sich aus der täglichen Beratung und den dort behandelten Themen.

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