„Entscheidungen sind ganz dicht am Leben.“
Herr Lutzius, wenn man in den Seminarraum kommt, hängen dort Zitate an den Pinnwänden. Die erste Aufgabe, die Sie den Teilnehmenden stellen, ist sich eines auszusuchen. Warum machen Sie das?
Zum einen müssen sie eine Entscheidung fällen. Einige lesen sich alle Zitate durch – manch anderer findet das erste Zitat schon so gut, dass er es nimmt und sich wieder auf seinen Platz setzt. Das ist psychologisch schon sehr interessant zu beobachten. Wobei ich es schon sehr klug finde, wenn alle Zitate vorher gelesen werden, aber ich mag auch die Leute, die spontan eine Entscheidung treffen.
Der zweite Grund ist: Man erkennt an den Zitaten von Kierkegaard, Goethe, Musk, dass es schon immer schwierig war Entscheidungen zu treffen. Ob in der Antike, im 19. Jahrhundert oder in der Jetztzeit. Da haben viele Leute kluge Sachen gesagt und es lohnt sich, darüber nachzudenken.
Sie erwähnten eben, dass es psychologisch interessant sei, wie die Teilnehmenden ihre erste Aufgabe meistern. Hängt das Entscheiden auch von der Persönlichkeit ab? Oder gibt es eine Psychologie der Entscheidung?
Beides stimmt auf seine Weise. Jeder hat einen Entscheidungsweg, den er bevorzugt geht.
Dann zeigte aber auch die Forschung von Daniel Kahnemann, dass unser menschliches Denken in zwei Grundtypen funktioniert.
System 1 nennt er das schnelle Denken. Das hat mit Intuition zu tun, mit Überlebenswillen, Spontanität, Emotionalität. Die Klugheit beginnt damit, dass man, wenn es komplexer wird, wirklich sein Gehirn einsetzt – also logische Denkanstrengung, System 2, betreibt. Das ist allerdings anstrengen, langsam und daher seltener aktiv.
„Entscheidungen sind ganz dicht am Leben: Wir müssen jeden Tag Entscheidungen treffen.“
Was ist eine gute Entscheidung? Sie machen im Seminar einen Unterschied zwischen Richtigkeit und Nachvollziehbarkeit.
Schwierigen Entscheidungen werden oft nicht gut – also nachvollziehbar – kommuniziert; die Gründe und Entscheidungswege werden nicht erklärt. Ich glaube, es ist eine große Kunst, in der heutigen Zeit nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen.
Wofür stehe ich? – Das ist die Auftakt-Frage in einer der Entscheidungstechniken, die ich im Seminar vermittele. Wofür stehe ich ein, was ist mir wichtig? Und das machen wir manchmal zu wenig.
Im Seminar tranigen wir mehrere Techniken, wie man Entscheidungen wirklich gut kommuniziert.
Woran liegt das, dass die Kommunikation so eine Hürde ist?
Wir sind zu kompliziert. Das können die Amerikaner besser, die klar und deutlich sagen: „Das ist die Ausgangslage, das ist die Problemlage, das sind die Alternativen. Ich schlage vor, dass wir diesen Weg gehen, weil die Kriterien die sich eben genannt habe, hier erfüllt sind.“
Was macht die typische Führungskraft hier? „Wir haben die Ausgangslage, die ist sehr kompliziert, und dann gibt es noch die Wünsche des Vorstands zu beachten, und nun habe ich mich hierzu durchgerungen…“
Sie nutzen ihre Energie nicht, um zu überzeugen und Menschen mitzunehmen.
Genau das trainieren Sie im Seminar – Menschen mitzunehmen und zu überzeugen, oder?
Ja, und es steht auch das Angebot, das zu filmen und im Anschluss die Wirkung zu analysieren.
Das ist mutig…
Zu Entscheidungen treffen gehört generell Mut. Sprechen wir doch wieder in Zitaten, die die Dinge oft so gut auf den Punkt bringen: „Eine Entscheidung ist der Tod von tausend Möglichkeiten“ – und dann: „Wenn du deine Entscheidung getroffen hast, kill die Alternativen.“
Wem fällt es denn leichter, Entscheidungen zu treffen? Den Erfahrenen oder den Unbedarften?
Ich möchte darauf anders antworten: Ich glaube, gute Entscheidungen leben davon, dass die Erfahrenen die Jungen in ihre Entscheidungen einbeziehen. Deren Einwände und Ideen zuzulassen, sodass die Klugheit der Jüngeren einfließen kann in die Weisheit vieler Lebensjahre. Dann kann sich der Erfahrene auch auf die Beschleunigungen einlassen.
Junge Leute haben oft mehr Mut und diese Risikobereitschaft ist in der heutigen Zeit eher wünschenswert. Aber auch die Jüngeren sollten, zumindest bei großen Entscheidungen, die Erfahrenen um Rat fragen, die in der Folgenabschätzung einfach besser sind.
„Im Zorn trifft man keine klugen Entscheidungen.“
Stichwort Folgewirkungen – gibt es noch die Erwartung, dass eine Entscheidung immer richtig ist, auch in der vernetzten und komplexen Welt, in der wir uns heute bewegen?
Was sehr wichtig ist, dass man die Folgewirkungen einer Entscheidung gut durchdacht hat und von der Richtigkeit der aktuellen Entscheidung überzeugt ist, unter den Bedingungen, die jetzt vorliegen.
Ich sollte aber auch offen sein, wenn man einigen Variablen nicht hatte und daher die Schlussfolgerung falsch sein könnte. Deshalb ist einer der großen Themen im Seminar auch der Umgang mit Fehlern.
Mein Ziel ist, zum einen mehr Leichtigkeit im Umgang mit Fehlern zu entwickeln. Und zum anderen das Schwergewicht von Fehlern auch zu berücksichtigen. Denn manchmal muss man über etwas länger nachdenken. Man muss ein Gefühl entwickeln für vertretbare Risiken und NoGos.
Gibt es einen Weg, das Entscheiden treffen zu lernen?
Der Punkt ist eher, seine festen Entscheidungswege zu hinterfragen. Wir zingeln uns oft durch viele „Rubikon-Entscheidungen“ ein. Es ist sinnvoller, nochmal in den gesamten Prozess reinzuschauen und wieder offen zu werden für andere wichtigen Kriterien und Faktoren.
Danke, Herr Lutzius!
Das Interview führte Stefanie Lenze
Drei Tipps zum Mitnehmen
#1
Sie können sich nicht entscheiden? Werfen Sie eine Münze. Legen Sie fest, was Sie bei Kopf und was bei Zahl machen. Während sie fällt, merken Sie an Ihrer Reaktion auf das Ergebnis, welche der beiden Optionen Sie eigentlich wählen wollen. Dies eignet sich bei Ja-nein-Entscheidungen unter Zeitdruck.
#2
Wenn man sich entschieden hat, sich auf das Ergebnis freuen. Killen Sie die Alternativen. Nicht die Nachteile der Alternativen aus dem zurückliegenden Prozess zu vermeintlichen Vorteilen neu deuten. Und dann mit den Optionen, die nun nicht zum Zug gekommen sind, zu hadern. Sondern: Zu seiner Entscheidung stehen.
#3
Auch mal gegen seinen Entscheidungstyp handeln, um sein Repertoire an Verhaltensweisen zu vergrößern. Natürlich sollte man dies nicht bei wichtigen Entscheidungen testen.
Leseempfehlungen
- Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken
- Karsten Dusse: Achtsam morden
- Barack Obama: Ein verheißendes Land
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