Chemie - Abschluss erreicht: 4,5 Prozent für 19 Monate - variabler Laufzeitbeginn

Der Tarifvertrag sieht neben der Entgelterhöhung mehr Arbeitszeit-Flexibilität durch neuen Demografie-Korridor vor. Auch wurden Fortschritte bei lebensphasengerechter Arbeitszeitgestaltung gemacht.

Die Entgelte der 550.000 Chemie-Beschäftigten steigen nach 1 Leermonat um 4,5 Prozent. Die Laufzeit des Tarifvertrages beträgt 19 Monate. Darauf haben sich Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) und Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) nach zweitägigen zähen Verhandlungen in Berlin geeinigt.

Die tabellenwirksame Tariferhöhung gilt ab dem 2. Monat, kann aber aus wirtschaftlichen Gründen per Betriebsvereinbarung um bis zu 2 weitere Monate verschoben werden. Unternehmen können ihre Beschäftigten bereits im 1. Monat am wirtschaftlichen Erfolg beteiligen.

Neu vereinbart wurde ein Demografie-Korridor, mit dem auf individueller und kollektiver Basis eine Wochenarbeitszeit zwischen 35 und 40 Stunden vereinbart werden kann, wenn dies aus demografischen Gründen geboten ist.

Zusätzlich investieren die Unternehmen bis 2015 über 200 Millionen Euro in den Ausbau einer lebensphasengerechten Arbeitszeitgestaltung.

Die Elemente des Tarifpakets im Detail

Entgelterhöhung - Nach Leermonat 4,5 Prozent für 18 Monate

Nach 1 Leermonat steigen die Tarifentgelte für die Chemie-Beschäftigten um 4,5 Prozent. Die Ausbildungsvergütungen werden überproportional um 50 Euro erhöht, um die Attraktivität der Branche für Berufseinsteiger zusätzlich zu steigern. Die Entgeltsteigerung wird damit in den Tarifbezirken Hessen, Nordrhein und Rheinland-Pfalz zum 1. Juli 2012 wirksam.

Arbeitszeit - Demografie-Korridor schafft mehr Flexibilität

Neu vereinbart wurde ein Demografie-Korridor, mit dem die wöchentliche Arbeitszeit aus demografischen Gründen flexibilisiert werden kann. Danach kann per freiwilliger Betriebsvereinbarung oder anschließender individueller Regelung die Möglichkeit genutzt werden, eine Wochenarbeitszeit zwischen 35 und 40 Stunden zu vereinbaren. Bei der Nutzung für einzelne Arbeitnehmergruppen ist die Zustimmung der Tarifparteien nicht erforderlich. Über die regelmäßige Wochenarbeitszeit von 37,5 Stunden hinausgehende Arbeitszeit wird grundsätzlich in Zeit ausgeglichen, kann jedoch auch entsprechend vergütet werden.

Über 200 Millionen Euro für lebensphasengerechte Arbeitszeitgestaltung

Von 2013 bis 2015 investieren die Unternehmen zusätzlich zum vorhandenen Demografiefonds jährlich 200 Euro pro Tarifmitarbeiter in einen betrieblichen Topf, durch den Instrumente für die Gestaltung einer lebensphasengerechten Arbeitszeit finanziert werden. Verwendungszwecke sind u.a. Langzeitkonten, das neue Modell „reduzierte Vollzeit 80“ und andere geeignete Instrumente zur Förderung alters- und alternsgerechten Arbeitens. Über die Verwendung der Mittel entscheiden die Betriebsparteien. Aus wirtschaftlichen Gründen kann der Betrag um insgesamt 100 Euro reduziert werden.

Neues Optionsmodell „reduzierte Vollzeit 80“ – Umwandlung der Altersfreizeiten

Die Altersfreizeiten in der Chemie (Arbeitszeitverkürzung für Schichtarbeiter ab 55 Jahren um 3,5 Stunden, sonst ab 57 Jahren um 2,5 Stunden) können künftig eingesetzt werden, um länger und flexibler zu arbeiten. Im Modell „reduzierte Vollzeit 80“ bringt der Mitarbeiter seine bestehenden Ansprüche auf Altersfreizeiten ein. Zu einem späteren Zeitpunkt erhält er eine 20-prozentige Arbeitszeitentlastung mit Entgeltausgleich. Dieser Ausgleich wird durch die eingebrachten Altersfreizeiten und den neu geschaffenen betrieblichen Topf finanziert, solange darin Mittel verfügbar sind.

Mit dem Einbringen der Altersfreizeiten arbeitet der Mitarbeiter zunächst Vollzeit weiter; das Unternehmen erhält so für mehrere Jahre eine höhere Arbeitszeitkapazität. Im Gegenzug wird der Arbeitnehmer zum Ende des Erwerbslebens stärker entlastet. Der Zeitpunkt der Arbeitszeitentlastung wird durch die Betriebsparteien festgelegt.

Alternativ können die Betriebsparteien vereinbaren, dass die Mittel für eine Arbeitszeitentlastung in bestimmten Lebensphasen verwendet werden, z.B. zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. In diesem Fall wird die Höhe des Entgeltausgleichs auf betrieblicher Ebene geregelt.

Nachwuchssicherung: Attraktivität der Branche erhöhen

Um die Attraktivität der Chemie-Industrie für Berufseinsteiger weiter zu erhöhen, werden die vielfältigen Maßnahmen der Chemie-Sozialpartner ausgebaut. Mit Chancen für nicht ausbildungsreife Jugendliche, einem hohen Ausbildungsniveau, sicheren Perspektiven nach der Ausbildung, regionalen Vermittlungsplattformen, wenn eine Übernahme nicht möglich ist, und dem neuen Angebot „Berufskompass Chemie“ will die Branche der absehbaren Knappheit beim Fachkräftenachwuchs begegnen.

 

Verhandlungsführer Hansen: „Fairer Kompromiss nach harten Verhandlungen“

BAVC-Verhandlungsführer Hans-Carsten Hansen zum Tarifabschluss: „Die Verhandlungen waren hart, aber sie waren fair und konstruktiv. Unter dem Strich haben wir unsere Ziele erreicht: einen realistischen Entgeltkompromiss und mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit. Dabei sind wir beim Entgelt ans äußerste Limit gegangen. Allerdings konnten wir die Kostenbelastung durch die lange Laufzeit, den Leermonat und den variablen Beginn der Tariferhöhung begrenzen. Damit haben wir insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen sowie für zahlreiche weiterverarbeitende Betriebe den dringend notwendigen Spielraum herausgeholt.“

 

Hansen weiter: „Beim Thema ‚Demografie und Arbeitszeit‘ haben wir einen substanziellen Schritt nach vorne gemacht. Mit dem Demografie-Korridor schaffen wir mehr Flexibilität für Unternehmen und Beschäftigte. Durch die Option „reduzierte Vollzeit 80“ können die Un-ternehmen zunächst mehr Arbeitszeitkapazität erhalten und bieten Älteren dafür später mehr Entlastung. Damit ermöglichen wir, künftig länger und flexibler zu arbeiten. Das ist ein intelligenter Umbau im Bereich der Arbeitszeit. Zudem wollen wir nach der Tarifrunde einen neuen Bebauungsplan für lebensphasengerechte Arbeitszeitgestaltung entwickeln. Demografie ist eine Daueraufgabe für die Tarifparteien.“

 

BAVC-Präsident Voscherau: „Starke Tarifpolitik von starken Sozialpartnern“

BAVC-Präsident Eggert Voscherau wertete den Abschluss als „wichtiges Signal über die Branche hinaus. In einer äußerst unruhigen Zeit sorgen wir für Ruhe, Berechenbarkeit und Planungssicherheit in den Betrieben. Von der aufgeheizten tarifpolitischen Atmosphäre mit starkem Gegenwind aus der Politik haben wir uns nicht beeindrucken lassen. Wir haben Kurs gehalten und einen chemiespezifischen Abschluss ausgehandelt. Das ist wichtig für unsere Branche, das ist wichtig für Deutschland und Europa.“

„Mit diesem Tarifabschluss werden wir unserer gemeinsamen Verantwortung für die Zukunft der Branche gerecht: Einerseits werden die Mitarbeiter angemessen am wirtschaftli-chen Erfolg der Branche beteiligt. Auch im Wettbewerb um knappe Fachkräfte ist das ein Pluspunkt. Andererseits sorgen wir vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft zu-sammen für den dringend notwendigen Mentalitätswandel bei der Arbeitszeit. Das ist starke Tarifpolitik von starken Sozialpartnern“, sagte Voscherau abschließend.